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  /die summe des lichts

Das physikalische Phänomen des Lichts und seine Sichtbarmachung ist die werkimmanente Intention in den Arbeiten von Anton S. Kehrer seit den frühen 90er Jahren. Hatte er sich anfangs ausschließlich mit den Nicht-Farben Grau, Weiß und Schwarz befaßt und mit der dichten Materialität des Graphit, so entkörperlichte sich seine Bildidee in dem Maße, in dem sich das Farbspektrum in Richtung Lichtfarbigkeit veränderte.
Seit Mitte der 90er Jahre setzt der Künstler graphische Arbeiten in ein dialogisches Spannungsverhältnis zu photographischen Farbprints. Er kombiniert in räumlichen installativen Gegebenheiten Malerei mit Photographie, Graphik mit Lichtbildnerei, Stofflichkeit mit Immaterialtiät, Transparenz mit Undurchdringbarkeit; es trifft gleichsam das manifeste Bild auf die transitorischen Lichttafel.

Photographie als Licht-Bild

Seit dem Beginn der ersten photographischen Experimente in der Mitte des 19. Jahrhunderts drehte sich die Recherche um die beiden Hauptargumente der Eigenschaften von Photographie ganz allgemein: die Abbildung von Licht-Phänomenen und die Haltbarmachung eines ephemeren Bildes aus der Natur. Die ersten erhaltenen Photographien sind demnach nichts wesentlich anderes als die uns heute so sehr geläufigen Kopien aus dem Photokopierer: dort wo auf der Vorlage Licht durchdringen kann, bildet sich etwas ab, dort wo der Prozeß unterbrochen oder verhindert wird, zeigt sich tiefste Schwärze. Die grelle Lichtquelle des Photokopierers ersetzt dabei bloß das Sonnenlicht, das ähnliche Vorgänge ohne weiteres ebenso bewirken kann. Die lichtempfindliche Beschichtung und die diversen Innovationen zur Erhaltung eines be-stimmten Zustandes, zum Stoppen des lichtimmanenten Prozesses ermöglichten die jeweils verbesserte und verfeinerte Vorgehensweise in der photographischen Praxis. Schon bald wurde das Potential der Photographie zur Abbildung von nichts als purem Licht erkannt – unabhängig von der wirklichkeitssüchtigen Gier nach abbildgetreuer Dokumentation, in der sich die vornehmliche photographische Produktion des späten 19. Jahrhunderts zu erschöpfen drohte. Dennoch wurde der Photographie darüber hinaus mehr zugetraut: etwa zu einem gleichen Zeitpunkt und mit ähnlicher Intention, welche Victor Hugo zu seinen atmosphärisch dunklen Tuschpinselzeichnungen kommen ließ, unternahm August Strindberg photographische Experimente. Beide Schriftsteller erweiterten ihr literarisches Schaffen durch ein Bildmedium und beide versuchten, dem Atmosphärischen, dem Lichthaften, dem abstrakten Leuchten endgültiger und eindeutiger auf die Spur zu kommen. Sie wollten die narrative Stimmungs-schilderung durch physikalische, naturwissenschaftlich überprüfbare Kriterien er-gänzen, vielleicht sogar korrigieren und sie schienen hierin der bildnerischen Gestaltung mehr Authentizität zuzugestehen als der Sprache; durch die unmittelbare Ansichtigkeit und die simultan erfahrbare Erkenntnis von zeitlich und atmosphärisch langwierigen Prozessen im photographischen oder malerischen Bild wird eine momentane suggestive Wirkung erreicht. Strindbergs magische Photographien von monderhellten Nächten vermitteln dieses Möglichkeit ebenso wie die schwarz schwellenden Meereswogen in Hugos graphischen Blättern.

Die Frage der Abbildbarkeit von reinen lichthaften Situationen wird im Piktorialismus der Jahrhundertwende neu gestellt und von verschiedenen Künstlern auch durch die neu einsetzende Farbphotographie umgedeutet: Spiegelungen und Reflexionen repräsentie-ren im photographischen Prozeß das bloße Abbild der Wirklichkeit als eine Manifestation von Licht und Materie, meistens, ohne den intendierten Gegenstand selbst mitabzubilden.
Anton Kehrer kehrt zu dieser initialen Überlegung des Dialogs von Graphik und Photographie einerseits und der bildlichen Dominanz von (gegenstandsfreiem) Licht andererseits zurück und widmet sich dieser Problematik mit neuen medialen Umsetzungen.

Das Bildlicht im photographischen Prozeß

Ausgehend von der Überlegung, daß es sich bei Kehrers photographischen Arbeiten um „Bilder” im Sinne einer optischen Gestaltung und nicht um Farbprints im Sinne einer gängigen Photo-Ausarbeitung handelt, unternehmen wir den Versuch, die Kriterien einer kunsthistorischen Beurteilung auf diese Werke anzuwenden.
„Über das Licht in der Malerei” ist das Standardwerk von Wolfgang Schöne, das sich in profunder Weise der Diversifizierung von „Licht” in der abendländischen Kunst-geschichte widmet – vom sakralen Licht des Mittelalters über das Beleuchtungslicht der Renaissance und die Lichtdramaturgie des Barock bis zu „Farbe und Licht in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts”. „In der Malerei der Gegenwart erreicht uns Licht nur im Mittel der substantiellen Emanation der Farbe, doch werden wir seiner als eines eigenen Faktors nicht gewahr” setzt Schöne an den Schluß seiner Recherche und thematisiert damit den wesentlichen Punkt nicht nur in der abstrakten Bildgestaltung: seit dem Impressionismus ist die Dominanz der Lokalfarbe ebenso obsolet wie das gestalterische, bildkonstituierende Prinzip von Licht und Schatten.
Diese Charakteristika scheint die Photographie aufgegriffen und übernommen zu ha-ben. Hell und Dunkel als Abbild von atmosphärischen Vorgängen, Kontrastbildungen von einander dialogisch widersprechenden Farbvaleurs, Akzentuierungen mittels
Licht- ,Leucht-, Farbsetzungen gehören zum Vokabular und Kanon jedes „Lichtbild-ners”.
Lediglich in der abstrakten Malerei wie in einer das Abbilden ausklammernden Photographie nähern sich die von Schöne diagnostizierten Auflösungstendenzen einander an.
Die nunmehr gegenwärtige Medienkunst, die mit Licht und den transsubstantiellen Eigenschaften von Projektion, Bildauflösung und digitalem Bildtransfer umgeht, definiert die bisherigen Paradigmen für Bildlicht neuerdings gänzlich um. Anton Kehrer allerdings geriert sich in dieser Hinsicht als klassisch, ja geradezu als „konservativ”: er behält die optischen Kriterien der klassischen Bildgestaltung bei, seine Vorgehensweise ist eine analog photographische nach den traditionellen Prinzipien und seine Bildtafeln nähern sich den großen Abstraktionen der Kunstgeschichte und deren Intentionen an.

Abstrakte Photographie und Inhaltlichkeit

Im Falle, daß die abstrakte Malerei dann einsetzte, als die Photographie die Darstellbarkeit der Wirklichkeit übernommen hatte, wäre es anzunehmen, daß die abstrakte Photographie dann auftritt, als ein anderes Medium den Dienst an der Wahrheit aufgreift. Dieser historisch-chronologischen These wollen wir die Feststellung entgegensetzen, daß in abstrakten Gestaltungen nicht die Inhalte aus den Bildern verschwinden, sondern auf eine andere Ebene verlagert werden.
Nicht der „Realismus“ und seine Reflexion verabschieden sich aus der bildenden Kunst, sondern die Narration, die Erzählstruktur werden verändert. Die bloße „Abbildung“ als inhaltliche Größe kann nicht mehr ausreichend sein.
So wie Ellsworth Kelly seit den 50er Jahren seine Panels, Shapes and Discs mittels reliefierter Module und Versatzstücke entwickelte, von deren materieller Präsenz in den späteren Bildern nichts mehr sichtbar ist, oder Licht-Schatten-Muster mittels schwarz/weiß-Photographie festhielt, die ursprünglich Lattenzäune, fragmentierte Gebäudeteile oder gefundene Drahtstücke waren, so mutieren anonyme Personen-oder Städtephotographien bei Gerhard Richter zu unfarbigen Graumalereien. Der Rest von etwas Gesehenem, Gewußtem, Gefundenem ist als inhaltlicher Kern vorhanden und spürbar, aber nicht vordergründig sichtbar. Die Farbigkeit und die Stofflichkeit von Farbe und Licht werden mittels Colourbars und Colourpatches überprüft: banale industrielle Farbkarten und industriell gefertigte Nuancen und Valeurs dienen als Parameter. Die von Richter neben seinen „Farbtafeln” vorgeführten Grisaille-Malereien imitieren das Abstraktionsvermögen von schwarz/weiß-Photographien und sind immanent die Summe aller Farben - grau. Seit dem Mittelalter haben Grau-in-Grau-Malereien
(z.B. auf den Außenflügeln von Wandelaltären) jeweils einen anderen (minderen) Realitätscharakter als etwa die brillant farbigen Altartafeln intendiert und damit einen höheren Grad an Interpretation und Wahrnehmungstransfer verlangt: zu den solchermaßen dargestellten Inhalten muß mehr gewußt werden, muß eine inhaltliche Konnotation vorhanden sein.
Anton Kehrer gibt in seinen großen abstrakten Phototafeln eine ähnliche inhaltliche Codierung wieder: die Photographien spielen mit der Idee der Abstraktion, der Colourfields und sie führen eine Art von artifizieller Gestaltung vor, die weit von dem ursprünglichen inhaltlichen Ansatz wegführt, ja sogar die virtuellen Strategien von digitalen Bildmutationen vortäuschen.
Seine „Lightflows” and „Horizons” entstanden aus trivialen Lichtsituationen an Tank-stellen, Vorstadtstraße, in Diskotheken und bei Szene-Clubbings, sie werden aus anderen künstlerischen Installationen, von Videotapes oder Werbeaufschrfiten entlehnt: eine Art der Aneignung und Umdeutung, die sich auf die reine Qualität des materiellen und farbigen Lichtes konzentriert, eine Art der Fokussierung, die jede anekdotische Lesbarkeit von vordergründigen Inhalten negiert, eine Art der demonstrierten Abstraktion, die in reiner Form, in reiner Farbe kulminiert. Kehrers Photographien stehen in einer virulenten Tradition der Moderne, die im Verlassen der Gegenständlichkeit und der Aufgabe des Referentiellen im Bild eine formal und inhaltlich relevante Lösung sucht. Kehrers Weg negiert weiterhin die Materialiät und Substantialität einer konventionellen Malerei und führt ein ewiges photographisches Ziel vor: das Bild als die Summe des Lichts.

Margit Zuckriegl